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Über Carl Gustav Jung

Von Nancy Furlotti, C.G. Jung Institute of Los Angeles
Übersetzung aus dem Englischen mit leichten Änderungen von Ursula Kiraly-Müller, dipl. Arch. ETH

C.G. Jung wurde am 26. Juli 1875 in Kesswil in der Schweiz geboren, als Kind eines Pfarrers der Reformierten Kirche der Schweiz und einer Mutter, die ebenfalls aus einer Pfarrersfamilie kam. Er blieb bis zur Geburt seiner Schwester lange ihr einziges Kind. Von Anfang an waren seine Träume und sein inneres Erleben für ihn bestimmend. Das brachte ihn aber schon früh in Konflikte mit der protestantischen Glaubenswelt, in der er aufwuchs, und so wurde für ihn die Selbsterforschung schon als Kind zu einer Aufgabe, die sein ganzes Leben bestimmen sollte. Dank seinem aussergewöhnlichen Verstand und seiner grossen intellektuellen Neugier begann er auch schon in jungen Jahren, sich Gedanken zu machen über die Natur der menschlichen Psyche. Er las intensiv Goethe, Kant, Schopenhauer und Meister Eckhart, um einige wenige zu nennen. 

Obwohl er sich in seiner Schulzeit vor allem für die Religionswissenschaften, für Philosophie und die Archäologie interessiert hatte, entschied er sich am Ende doch für das Studium der Medizin an der Universität Basel, wo er sich nach seinem Doktorat auf die Psychiatrie spezialisierte. Aus diesem Grund nahm er eine Anstellung bei Prof. Eugen Bleuler an der Klinik „Burghölzli“ in Zürich an, der heutigen Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die ein renommiertes Zentrum für die Behandlung von Schizophrenie war und wo man sich besonders der psychologischen Erforschung der Krankheit zuwandte. Man arbeitete hier mit Hypnose und legte vor allem Wert auf die Einführung von wissenschaftlichen Methoden, von denen man sich neue und bahnbrechende Erkenntnisse in Bezug auf die Wirksamkeit und das Verständnis der psychiatrischen Behandlungen versprach. Jung fand hier also ein ideales Umfeld vor für den Beginn seines späteren Lebenswerkes. 

1902 heiratete Jung Emma Rauschenbach, mit der er fünf Kinder hatte. Noch im selben Jahr ging er nach Paris, um bei Prof. Pierre Janet zu studieren, der damals der führende Psychologe seiner Zeit war und für dessen Ideen sich Jung besonders interessierte. Nach seiner Rückkehr ans „Burghölzli“ entwickelten Jung und Franz Riklin das „Wort-Assoziations-Experiment“. Damit entdeckte er die „gefühlsbetonten Komplexe“. Als Jung diese Methode bei seinen schizophrenen Patienten anwandte, konnte er aufzeigen, dass auch Wahnvorstellungen einen symbolischen Sinn enthalten. Das wurde zur Grundlage seines Konzepts des „kollektiven Unbewussten“, denn Jung erkannte, dass in den Fantasien seiner Patienten mythologisches Material erschien, das diesen selber gänzlich unbekannt war. Durch das Wort-Assoziations-Experiment (das die Grundlage für den später weit verbreiteten Lügendetektor wurde) lassen sich nämlich bei den Patienten tiefgründige Komplexe oder negative Verhaltensmuster nachweisen, die direkt aus dem Unbewussten durchbrechen. Diese Reaktionen sind zwar vor allem von persönlicher Relevanz, doch haben sie einen Bezug zu rein kollektiven und archetypischen Bedeutungsmustern, wie sie auch in uralten Mythen und Märchen zu finden sind.

Im Jahre 1906 begann Jung eine Korrespondenz mit Sigmund Freud, die sich bald zu einer Freundschaft entwickelte, obwohl beide unterschiedliche intellektuelle Voraussetzungen hatten und fast eine ganze Generation zwischen ihnen lag. Was sie jedoch von Anfang an verband war das Bedürfnis, die Probleme ihrer Patienten in viel tiefere Schichten der Psyche als bis anhin zu erforschen. Beide betonten zudem ausdrücklich die Wichtigkeit, die das Unbewusste im Leben jedes Einzelnen spielt, sei es in der Beziehung zur inneren wie auch zur äusseren Welt. Freud nannte diesen Ansatz „Psychoanalyse“. Als sich Jung von Freud unabhängig gemacht hatte, nannte er seinen eigenen Ansatz „Analytische Psychologie“.

Jung verliess das „Burghölzli“ im Jahr 1909, um sich ganz seiner eigenen Praxis zu widmen und um seinen Studien zu den Manifestationen des Unbewussten in Mythologie, Folklore und Religion nachzugehen. Diese betrachtete er nun als Produkte des kollektiven Unbewussten und begann, sie miteinander zu vergleichen, zu analysieren und in ihrer Bedeutung zu erforschen. Diese vergleichende Methode nannte er später „Amplifikation“. Durch Amplifikation wird es möglich, sich dem Sinn von Traumbildern und Fantasien anzunähern, indem man sie mit vergleichbarem Material aus dem kollektiven Unbewussten anreichert und erweitert. Sein erstes grossangelegtes Werk, in welchem er die Methode der Amplifikation anwandte, war 1912 das Buch „Wandlungen und Symbole der Libido“, welches er später überarbeitete und in „Symbole der Wandlung“ umbenannte. Für Jung war die Publikation dieses Buches, das später zu einem Klassiker wurde, keine einfache Entscheidung, denn seine Beziehung zu Freud wurde zerstört, als damit offenkundig wurde, dass er und Freud ganz unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Natur und die Rolle des Unbewussten, der Komplexe und der Libido hatten. Vollends zum Bruch kam es 1914, als sich die „Zürcher Psychoanalytische Vereinigung“ aus der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung“ zurückzog und die „Vereinigung für Analytische Psychologie“ gründete. In den darauf folgenden Jahren schrieb Jung sein Buch über die „Psychologischen Typen“, das unter anderem auch als Versuch verstanden werden kann, die unterschiedlichen psychologischen Auffassungen von Freud, Adler und ihm selbst einzuordnen. 

Trotz der Gründung einer eigenen Vereinigung in Zürich bedeutete der Bruch mit Freud für Jung, dass er jetzt sowohl professionell wie persönlich isoliert war. Das warf ihn ganz auf sich selbst zurück und führte zu dem, was er später seine „Konfrontation mit dem Unbewussten“ nannte. Auf der Suche nach sich selbst - und seinem eigenen Mythos - begann er, in die Tiefen seiner eigenen Psyche hinabzusteigen. Was er hier vorfand, wurde für ihn zum grossen Gegengewicht zu unserer mythenlosen, säkularen, modernen Welt. Jung entwickelte dabei eine Methode, die er „Aktive Imagination“ nannte. Das ist eine Methode und ein Prozess, durch den man der lebendigen Realität des Nicht-Ichs begegnen kann, indem man mit seinen Fantasien und Traumfiguren aktiv in einen Dialog eintritt oder durch andere Formen der Imagination Kontakt aufnimmt. Diese Art der Selbsterforschung wurde zum Kernstück von Jungs Zugang zur Psyche. Jung hat einige seiner eigenen imaginativen Dialoge aus dieser schwierigen Lebensphase in seinem, von Sonu Shamdasani 2009 publizierten „Roten Buch“ in kalligraphischer, gotischer Schrift niedergeschrieben und diesen Texten reiche Illustrationen hinzugefügt. Es wurde zur Ur-Quelle für viele seiner zahlreichen späteren Bücher und Vorträge, in denen er seine Psychologie stets weiterentwickelte und ausarbeitete. Sie sind zum grössten Teil in den „Gesammelten Werken“ zusammengefasst, wobei aber immer wieder neue Publikationen hinzukommen.

Durch die Erforschung der Inhalte seines eigenen Unbewussten und das seiner Patienten, und aus dem überaus sorgfältigen Studium der Mythologie, der vergleichenden Religionswissenschaften, der Anthropologie und nicht zuletzt der Alchemie kam Jung zum Schluss, dass der gegenwärtige Mythos unserer Zeit unseren psychologischen Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Das, was den Menschen in unserer heutigen, hyper-realistischen Zeit vor allem fehlt, ist die Verbindung zur verlorengegangenen Instinkt-Natur. Jung prägte hier den Begriff „Individuation“. Damit bezeichnet er einen inneren Prozess oder Drang, der jeden von uns zur Suche nach mehr Ganzheit und Vollständigkeit antreibt. Dieser Prozess geht von einem zentralen, vereinigenden Archetyp aus, vom „Selbst“, das paradoxerweise sowohl das Zentrum der individuellen Psyche ist wie auch das Zentrum der kollektiven Gesamtpsyche. Dabei weist Jung darauf hin, dass nicht nur die Ganzheit des Individuums, sondern auch die Heilung der Welt-Seele, der Anima Mundi, von jedem Einzelnen von uns abhängt. Davon nämlich, ob es uns persönlich, aber auch kollektiv gelingt, eine bewusstere Beziehung einzugehen mit all jenen unerforschten und verdrängten Aspekten, die noch ganz verborgen im Unbewussten liegen - das heisst mit dem, was Jung den „Schatten“ nannte.

Nach einem langen Leben, das ganz dem Verstehen und der Heilung der menschlichen Psyche gewidmet war, verstarb Carl Gustav Jung am 6. Juni 1961 in Küsnacht in der Schweiz. Seine letzten Träume zeugen von seiner tiefen Sorge um das Wohlergehen und die Zukunft der Welt. Aber sie zeigen auch, dass er selber jene Wesensganzheit erreicht hat, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte. 
 

 

«Face to Face»

BBC-Interview von John Freeman mit C.G. Jung, Produzent: Hugh Burnett UK 1959 (40 min.)

 

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